
Blog: Neogobius melanostomus: Längst heimisch in deutschen Gewässern oder gefährliche invasive Art? (7123)
In den letzten Jahrzehnten hat sich das ökologische Gleichgewicht vieler Gewässer weltweit erheblich verändert. Verantwortlich dafür sind unter anderem invasive Arten – Tier- und Pflanzenarten, die ursprünglich nicht in einem bestimmten Ökosystem heimisch waren, sich aber dort etablieren und oft negative Auswirkungen auf die Umwelt, die heimische Biodiversität und sogar auf die Wirtschaft haben können. Eine dieser Arten ist der Schwarzmundgrundel (Neogobius melanostomus), ein kleiner, aber sehr anpassungsfähiger Fisch, der ursprünglich aus dem Schwarzmeerraum stammt.
Seit den 1990er-Jahren breitet sich Neogobius melanostomus zunehmend auch in Mitteleuropa aus, insbesondere in deutschen Gewässern wie dem Rhein, Main, Elbe, Donau und deren Nebenflüssen. Während einige sie bereits als festen Bestandteil unserer Flussökosysteme sehen, warnen andere vor ihren negativen Auswirkungen. In diesem Artikel beleuchten wir ausführlich die Herkunft, Ausbreitung, ökologischen und wirtschaftlichen Folgen sowie den aktuellen Forschungsstand zur Schwarzmundgrundel in Deutschland – und stellen die Frage: Ist Neogobius melanostomus inzwischen heimisch oder doch eine gefährliche invasive Art?
Herkunft und Biologie der Schwarzmundgrundel
Die Schwarzmundgrundel (Neogobius melanostomus) stammt ursprünglich aus dem Schwarzmeer-, Asowschen Meer- und Kaspischen Meer-Gebiet. Dort bewohnt sie Küstenbereiche und Flussmündungen mit steinigem Untergrund. Sie ist ein Vertreter der Familie Gobiidae (Grundeln), die weltweit über 2.000 Arten umfasst. Die Schwarzmundgrundel fällt vor allem durch ihren dunklen Körper, die namensgebende schwarze Mundfärbung und die zusammengewachsenen Bauchflossen auf, mit denen sie sich wie ein Saugnapf an Steinen oder anderen festen Substraten festsaugen kann.
Sie erreicht eine Körperlänge von etwa 10 bis 25 cm und wird selten älter als vier Jahre. Die Fortpflanzung erfolgt von April bis September, wobei ein Männchen mehrere Gelege von unterschiedlichen Weibchen bewacht. Diese hohe Fortpflanzungsrate und das ausgeprägte Revierverhalten machen Neogobius melanostomus besonders erfolgreich bei der Besiedelung neuer Lebensräume.
Wege der Einschleppung nach Deutschland
Die Verbreitung der Schwarzmundgrundel außerhalb ihres ursprünglichen Verbreitungsgebiets begann in den 1990er-Jahren. Hauptverantwortlich für ihre Einschleppung war der internationale Schiffsverkehr. Insbesondere durch das Ballastwasser von Frachtschiffen gelangte die Art in neue Regionen. Das Ballastwasser wird in einem Hafen aufgenommen und in einem anderen wieder abgegeben – mitsamt aller darin enthaltenen Organismen.
So kam Neogobius melanostomus zunächst in die großen nordamerikanischen Seen, wo sie sich rasant ausbreitete, bevor sie auch in Europa Fuß fasste. Über die Donau und den Main-Donau-Kanal erreichte sie schließlich auch das Rhein-Main-Gebiet, von wo aus sie sich in fast alle größeren Fließgewässer Deutschlands ausbreiten konnte.
Ökologische Auswirkungen
Die Schwarzmundgrundel ist ein Paradebeispiel für eine invasive Art mit tiefgreifenden ökologischen Konsequenzen. Ihre Auswirkungen auf die heimische Fauna sind zahlreich:
Verdrängung einheimischer Fischarten
Durch ihr aggressives Revierverhalten und ihre hohe Reproduktionsrate konkurriert die Schwarzmundgrundel erfolgreich mit einheimischen Bodenfischen wie der Schmerle, der Groppe oder der Elritze. Diese Arten haben oft eine geringere Fortpflanzungsrate und können mit dem Nahrungskonkurrenten nur schwer mithalten.
Prädation auf Fischlaich und wirbellose Tiere
Neogobius melanostomus ernährt sich nicht nur von Wirbellosen wie Muscheln, Schnecken und Krebsen, sondern frisst auch Fischlaich anderer Arten. Dies stellt eine direkte Bedrohung für die Reproduktion vieler heimischer Fischarten dar.
Auswirkungen auf die Nahrungskette
Da die Schwarzmundgrundel häufig selbst Beute von Raubfischen wie Zander, Hecht und Wels wird, hat sich die Nahrungsgrundlage für diese Räuber teilweise verändert. Dies kann zu einer Verschiebung in der Struktur der Fischgemeinschaft führen – mit bislang nicht vollständig erforschten Folgen für das gesamte Ökosystem.
Wirtschaftliche und fischereiliche Relevanz
Neben ökologischen bringt die Ausbreitung von Neogobius melanostomus auch wirtschaftliche Herausforderungen mit sich. Fischer berichten zunehmend von Netzen, die von großen Mengen Schwarzmundgrundeln verstopft werden, während wertvolle Speisefische wie Aal oder Zander weniger gefangen werden. Auch das Anglererlebnis wird durch die aggressive Beißfreudigkeit der Grundeln beeinträchtigt – Köderfische werden häufig sofort von Grundeln attackiert, bevor die eigentliche Zielart beißen kann.
Gleichzeitig gibt es auch eine gewisse ökonomische „Anpassung“: Einige Fischereibetriebe und Gastronomen beginnen, Schwarzmundgrundeln als Speisefisch zu vermarkten. In osteuropäischen Ländern gelten sie ohnehin seit jeher als Delikatesse. Ob sich ein nachhaltiger Markt für den Verzehr der Schwarzmundgrundel in Deutschland entwickeln kann, bleibt abzuwarten.
Ist die Schwarzmundgrundel mittlerweile heimisch?
Diese Frage ist nicht einfach zu beantworten und hängt stark davon ab, wie man „heimisch“ definiert. In der ökologischen Literatur wird zwischen „etabliert“, „neobiotisch“ und „heimisch“ unterschieden:
- Heimisch ist eine Art, die sich ohne menschliches Zutun über einen langen Zeitraum in einem Gebiet entwickelt hat.
- Neobiota sind Arten, die nach dem Jahr 1492 (Entdeckung Amerikas) in ein neues Gebiet gelangten – mit oder ohne Hilfe des Menschen.
- Etabliert ist eine Art, wenn sie sich ohne weitere menschliche Einwirkung fortpflanzen und in einem neuen Lebensraum dauerhaft überleben kann.
Die Schwarzmundgrundel ist in deutschen Gewässern ohne Zweifel etabliert. Ihre Populationen wachsen in vielen Flüssen stabil oder sogar exponentiell. Sie zeigt eine bemerkenswerte Anpassungsfähigkeit an verschiedene Umweltbedingungen und ist in vielen Gewässerabschnitten bereits die dominierende Bodenfischart.
Ob sie allerdings als heimisch betrachtet werden sollte, ist aus wissenschaftlicher Sicht umstritten. Heimischsein setzt in der Regel eine evolutionäre Verankerung im regionalen Ökosystem voraus, die bei der Schwarzmundgrundel nicht gegeben ist. Derzeit gilt sie daher weiterhin als invasive, wenn auch etablierte Art.
Maßnahmen zur Kontrolle und Eindämmung
Die vollständige Ausrottung der Schwarzmundgrundel aus deutschen Gewässern ist unrealistisch. Dafür ist die Art zu weit verbreitet, zu anpassungsfähig und zu produktiv. Dennoch gibt es Strategien, um ihre negativen Auswirkungen zu minimieren:
Monitoring und Forschung
Zahlreiche Forschungsprojekte beobachten das Verhalten, die Verbreitung und die Interaktionen der Schwarzmundgrundel mit anderen Arten. Diese Daten sind essenziell, um gezielte Managementstrategien zu entwickeln.
Habitatmanagement
In bestimmten Regionen kann durch gezieltes Habitatmanagement – zum Beispiel durch Vermeidung von steinigem Untergrund in Laichgebieten – die Ausbreitung gebremst werden.
Förderung von Prädatoren
Die Förderung von Raubfischen wie Zander oder Wels, die die Schwarzmundgrundel in ihr Nahrungsspektrum aufgenommen haben, kann helfen, Populationen natürlich zu regulieren.
Aufklärung und Vernetzung
Ein wichtiger Baustein ist auch die Sensibilisierung von Anglern, Fischern und Gewässerbewirtschaftern. Wer die Art erkennt, richtig identifiziert und meldet, trägt zu einem besseren Management bei.
Häufig gestellte Fragen (FAQs)
Ist die Schwarzmundgrundel gefährlich für den Menschen?
Nein, Neogobius melanostomus stellt keine direkte Gefahr für den Menschen dar. Es handelt sich weder um einen giftigen noch aggressiven Fisch. Indirekt kann sie jedoch durch ökologische Verschiebungen und wirtschaftliche Schäden Probleme verursachen.
Darf man die Schwarzmundgrundel angeln?
Ja, in den meisten Bundesländern ist das gezielte oder unbeabsichtigte Fangen erlaubt. In manchen Regionen wird sogar empfohlen, gefangene Schwarzmundgrundeln nicht zurückzusetzen, um die weitere Ausbreitung zu unterbinden.
Kann man Schwarzmundgrundeln essen?
Ja. Sie sind essbar und werden in einigen Ländern traditionell zubereitet. Aufgrund ihrer geringen Größe sind sie jedoch schwer zu filetieren, eignen sich aber gut für die Zubereitung im Ganzen (z. B. frittiert oder gegrillt).
Gibt es bereits positive Effekte der Art?
Manche Forscher argumentieren, dass Raubfische durch die Schwarzmundgrundel eine neue, reichhaltige Nahrungsquelle erhalten haben. Dies kann insbesondere in Flüssen mit geringem Fischbestand vorteilhaft sein. Ob dies jedoch langfristig positive Auswirkungen auf die Gesamtökologie hat, ist umstritten.
Fazit
Die Schwarzmundgrundel ist ein Paradebeispiel für eine invasive Art, die sich in kürzester Zeit in einem neuen Ökosystem etablieren kann. Ihre Verbreitung in deutschen Gewässern ist rasant erfolgt und hat viele einheimische Arten unter Druck gesetzt. Dennoch zeigt sich auch, dass sich manche Ökosysteme anpassen und neue Gleichgewichte entstehen.
Ob man Neogobius melanostomus nun als gefährliche Bedrohung oder als neue Realität ansehen sollte, hängt stark von der Perspektive ab. Klar ist: Ein vollständiger Rückbau ihrer Populationen ist kaum möglich. Stattdessen braucht es ein durchdachtes Management, das ökologische, ökonomische und soziale Aspekte berücksichtigt.
Langfristig wird entscheidend sein, wie flexibel unsere Gewässer auf solche biologischen „Neuzugänge“ reagieren können – und ob wir bereit sind, den Begriff „heimisch“ im Zuge des globalen Wandels neu zu denken.